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The longest yarn – Geschichte im Strick

Houesville ist ein kleiner Weiler zwischen Sainte-Marie-du-Mont, Sainte-Mère-Église und Carentan auf dem Cotentin. Drumherum Weiden, Wallhecken und Schwemmland. Eine Ansammlung charakteristischer Steinhäuser. Eine Kirche, ein Rathaus, ein Château mit Pferdezucht, ein idyllischer Dorfplatz, der mit landwirtschaftlichen Geräten verschönert wurde. Und seit gut einem  Jahr das Epizentrum eines der ungewöhnlichsten Projekte, die zum 80-jährigen Jubiläum des D-Days das Licht der Welt erblicken: The longest Yarn. 

Geschichte gestrickt: Einige Szenen aus "The longest Yarn" vor dem "Headquater" in Houesville. Foto: Mike Forster
Geschichte gestrickt: Einige Szenen aus "The longest Yarn" vor dem "Headquater" in Houesville. Foto: Mike Forster

Die Schöpferin des Garn, Tansy Forster, hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Ab dem 28. Mai ist die Ausstellung in der Kirche in Carentan zu sehen, Exponate treffen aus der ganzen Welt ein, säuberlich in Kisten verpackt. Dabei war es am Anfang nur eine kleine Spinnerei, Verzeihung: Strickerei.

Tansy und ihr Mann Mike leben schon viele Jahre auf dem Cotentin. Sie haben Ferienhäuser vermietet, beherbergten Veteranen und ihre Familien oder richteten während der D-Day-Feierlichkeiten ein BBQ für eine Abordnung der Bundeswehr aus. Viele Freundschaften sind so über die Jahre entstanden, viele Geschichten wurden erzählt. Der D-Day spielte eine besondere Rolle darin, auch wegen der US-Veteranen und der Feierlichkeiten rund um den 6. Juni. Mittlerweile ist das Paar in der wohlverdienten Rente und könnte das normannische Leben zusammen mit ihren Hunden, Katzen, Lamas, Alpakas und Hühner genießen. Könnte. 

Den Veteranen des D-Days verbunden

Könnte, ja, könnte.

Tansys Familiengeschichte ist typisch im Nachkriegseuropa: irgendwie hat sie mit Krieg zu tun. Mit Großeltern im Ersten, Onkeln im Zweiten Weltkrieg. Und dieser Faden zieht sich auch durch ihr weiteres Leben, als sie mit Mike auf den Cotentin übersiedelt, Anfang der 2000er Jahre. Zu den D-Day-Feierlichkeiten logieren Veteranen aller Herren Länder in den Ferienhäusern, amerikanische, britische, französische und sogar deutsche. Mit manchen verbindet Tansy und Mike eine tiefe Freundschaft, so wie mit dem US-Veteranen Harry Kulkowitz, der zum sechzigjährigen Jubiläum 2004 in das Leben von Tansy und Mike  stürmte. "Nachdem Harry gestorben war, war der D-Day nicht mehr dasselbe für mich", sagt sie. "Aber zu diesem 80-jährigen Jubiläum, da wollte ich noch einmal etwas Besonderes machen, um all die Veteranen zu ehren."

Strick-Guerilla und normannische Erzähltradition

Post Box Topper zur Krönung von Prince Charles. Foto: Doyle of London, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0"CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Post Box Topper zur Krönung von Prince Charles. Foto: Doyle of London, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0"CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Bei einem Besuch in England wird sie auf die Post Box Topper aufmerksam. Post Box Topper sind gehäkelte oder gestrickte Mützen für die klassischen Briefkästen, wie sie in England überall noch zu finden sind. Sie werden anlässlich eines besonderen Ereignisses gefertigt, etwa um die Mitarbeiter des Gesundheitswesens während Corona zu ehren, zu Queen Elizabeths Thronjubiläum oder zu Charles Krönung. Die kleinen Szenen zaubern den Betrachtenden unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht und versprühen gleichzeitig einen Hauch von Subversivität. Denn wer einen solchen Topper fertigt und eine Post Box damit schmückt, ist ein "Yarn Bomber". Auch in Deutschland und Frankreich ist die "Strickguerilla" bekannt dafür, im öffentlichen Raum Gegenstände mit Strick zu verschönern.

So entstand die Idee, ihren eigenen, heimischen Briefkasten zum D-Day zu dekorieren. Dann, das Ganze aufs Hoftor und auf die Grundstücksmauer auszudehnen. Und sollte es nicht einen Platz geben, um all die Ideen im Kopf zum Jubiläum zu einem großen Ganzen zu verbinden? Zu etwas noch nie dagewesenem?

Eine Geschichte erzählen, das ist es, was Tansy will. Eine Geschichte, wie auf dem berühmten Wandteppich in Bayeux. Die Geschichte des D-Days in 80 Einzelszenen packt, jede einen Meter lang. 80 Stück, 80 Meter, zum 80-jährigen Jahrestag. Länger als der Teppich von Bayeux. Größer als alles, was je in einem solchen Teppich dargestellt wurde. "The longest yarn" ist geboren. Der "längste Faden", der zum einen an den "längsten Tag" erinnert, zum anderen ein Wortspiel ist. So ist ein "good yarn" nicht nur ein feingesponnener Faden, sondern eine ebensolche Geschichte, vergleichbar mit dem deutschen Seemannsgarn, ohne die leicht negative Konnotation, die eine solche Schnurre im Deutschen hat.

 

Der lange Faden – der längste Teppich

Die Figuren und Szenen sind bis in das letzte Detail authentisch. Foto: Mike Forster
Die Figuren und Szenen sind bis in das letzte Detail authentisch. Foto: Mike Forster

Über Mund-zu-Mund-Propaganda und soziale Netzwerke verbreitet sich die Idee wie ein Schneeball. Menschen aus aller Welt finden sich inb den nächsten Monaten, hauptsächlich aus Großbritannien, aber auch aus Frankreich, Amerika, Australien, Neuseeland und Irland.  80 Schlüsselszenen werden mit viel Liebe zum Detail gefertigt: 3D-Soldaten, Panzer, Schlachtschiffen, Jeeps und Artillerie.  Sanitäter, Bunker, Bahren, Kirche, Friedhöfe, Flugzeuge. Menschen und Tiere. Jeder, der ein Panel übernimmt, forscht nach, gräbt in der Familiengeschichte und in den Archiven, um die Szene historisch korrekt zu gestalten. "Selbst Historikern ist nicht alles von dem, was wir ausgegraben haben, bekannt", berichtet Tansy. 80 einmalige Geschichten sind so entstanden, auf ungewöhnliche Weise erzählt, gestrickt und gehäkelt wird dieser Tag, der längste Tag, wieder lebendig. Wir sehen Heldentaten, aber auch das Grauen, wir sehen kleine Erlebnisse der normalen Soldaten, die an die Strände der Normandie kamen. Können uns in das Geschehen vertiefen, es aus einer völlig neuen Perspektive wahrnehmen, spüren. "The longest yarn" ist Geschichtsschreibung von unten, ein Projekt über alle Grenzen hinweg.

Unterm Strich: Es ist rekordverdächtig. 13.000 Arbeitsstunden (oder mehr), tausende Kilometer Wolle. Unglaublich viel Logistik, um die Einzelteile von allen Ecken der Welt ins beschauliche Houesville zu bringen. Ein Rädchen greift ins nächste, Sponsoren, Helfer, Strickerinnen.

 


Ein Stück Erinnerung

Dieser Teppich von Carentan, er ist etwas Außergewöhnliches. Ein emotionales Werk, aber ohne Pathos. Mit viel Begeisterung, Wertschätzung und Enthuasiasmus. Mit Funken, die sofort überspringen. Die historische Genauigkeit spielt bei jeder der Szene eine große Rolle, als die Stiefel eines Bataillons in der falschen Farbe gefertigt wurden, mussten sie aufgetrennt und neu gestrickt werden.

Es werden in "the longest yarn" auch Soldaten geehrt, deren Andenken fast in Vergessenheit geraten ist. So manches persönliche Stück hat Eingang in die kleinen Kunstwerke gefunden, etwa die Wolle des Lieblingspullovers von Piper Bill Millin, die aufgedröselt und neu verstrickt ein Teil der Szene auf der Pegasus-Bridge ist, auf der Piper Bill einst stand. Andere Veteranen, selbst längst zu alt für die Reise, wurden von ihren Angehörigen gestrickt und im Miniaturformat nach Frankreich geschickt und sind so beim Jubiläum präsent. Und auch Harry Kulkowitz hat seinen Ehrenplatz auf dem längsten Wandteppich aller Zeiten erhalten.

Die Geschichte des längsten Tages wird auf inspirierende Art mit den Strickkunstwerken erzählt. Foto: Mike Forster
Die Geschichte des längsten Tages wird auf inspirierende Art mit den Strickkunstwerken erzählt. Foto: Mike Forster

Info: The longest yarn

Die Ausstellung ist bis 31. August in der Kirche Notre Dame in Carentan zu sehen. Der Eintritt ist frei, aber Spenden zur Unterstützung des Projekts sind gerne gesehen. Ihr könnt auch Produkte im Shop kaufen (https://www.thelongestyarn.com/shop) oder das Begleitbuch zur Ausstellung direkt vor Ort. 

Spenden werden auch weiterhin auf Gofundme gesammelt (https://www.gofundme.com/f/the-longest-yarn), vor allem um die anschließende Tournee durch Großbritannien und nächstes Jahr durch die USA zu finanzieren. Denn die Reise des ungewöhnlichen Wandteppichs ist noch nicht zu Ende. Für die umfangreiche Logistik über den großen Teich werden noch Reise- und Ausstellungsboxen benötigt, Geld sowieso. 

The longest Yarn ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein in Frankreich.

Bitte beachtet: Die Ausstellung findet in einer Kirche statt, lasst also bitte die Hunde draußen und wechselt Euch bei der Besichtigung ab.

Während der D-Day-Feierlichkeiten vom 1. bis 9. Juni gelten Verkehrs- und Parkbeschränkungen in Carentan. Wo Ihr mit Auto und Wohnmobil parken könnt, steht auf dieser Seite: https://carentan1944.com/en/accessibilite/

Alle weiteren Infos findet Ihr hier: https://www.thelongestyarn.com

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